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Essay "Winnetou"

Daten

TitelWinnetou
AutorRolf Dernen

Zugeordnete Texte

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TitelUntertitelKurzbemerkung
Winnetou 1 illustrierte Reiseerzählungen
Winnetou 2 illustrierte Reiseerzählungen
Winnetou 3 illustrierte Reiseerählungen
Winnetou der Rote Gentleman · 1. BandVon Carl/Karl MayBuchausgabe
Winnetou der Rote Gentleman · 2. Band 
Winnetou der Rote Gentleman · 3. Band 

Konkordanz dieser Texte

Aus der Werkstatt eines Erfolgsschriftstellers

Das 'Making of' WINNETOU I bis III

Beim Lesen von Karl Mays "Winnetou"-Bänden fällt auf, dass der erste Band wie aus einem Guss ist, eine durchgehende Handlung besitzt, während die anderen beiden aus durch Überleitungen miteinander verbundenen Einzelepisoden bestehen. Warum es May nicht gelang, ein wirklich zusammenhängendes Werk zu schaffen, soll im Folgenden erläutert werden.

Man schreibt das Jahr 1892 und Karl May ist im Alter von fünfzig Jahren auf dem Weg zum Höhepunkt seiner Popularität. Mühsam war es bis hierhin, noch bis vor wenigen Monaten konnte er die Miete nebst anderer Verbindlichkeiten nicht bezahlen; da gab es beispielsweise Zahlungsklagen eines Kaufmannes über 125 Mark, eines Gaststättenbesitzers über 50 Mark, auch ein Weinhändler hatte ihn wegen offener Rechnungen verklagt. Sogar die für den starken Raucher May extrem wichtigen Zigarren hatte er kaum bezahlen können. Aber nun verschaffen die Vorschüsse des Freiburger Verlegers Friedrich Ernst Fehsenfeld dem Autor Luft. Mit Erfolg hat Fehsenfeld die bisher nur in der Zeitschrift "Deutscher Hausschatz" veröffentlichte große Orienterzählung in Buchform herausgegeben; es sind die ersten sechs Bände der "Gesammelten Reiseerzählungen", von "Durch die Wüste" bis "Der Schut", Leinenbände in grün-gold-schwarzer Aufmachung mit farbigen Deckelbildern, ein Äußeres, das die "Gesammelten Werke" bis heute besitzen. Nun soll es mit dem Wilden Westen weitergehen und auch da sind Zeitschriftentexte reichlich vorhanden, leider nicht so zusammenhängend wie die Erlebnisse von Kara ben Nemsi und Hadschi Halef Omar auf ihrer Reise von der Sahara bis zum Balkan.

In einem Brief vom 12. März 1892 an Fehsenfeld spricht May noch von zwei Bänden "Winnetou", ein halbes Jahr später ändert er aber sein Konzept. Er schreibt an seinen Verleger: "Was Winnetou betrifft, so bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass wir 3 Bände machen müssen. Diese vornehme Gestalt mit ihren außerordentlichen Erlebnissen ist nicht kürzer zu zeichnen." Den ersten Band müsse er auf jeden Fall vollständig neu schreiben, die beiden anderen, wie geplant, aus älteren Erzählungen zusammensetzen, ein Konzept, das dem Autor allerdings gar nicht mehr so recht gefällt. Aber die Zeit drängt und May kann seine Unzufriedenheit nur in einem weiteren Brief zum Ausdruck bringen: "Am liebsten schriebe ich alle 3 Bände neu. Es müsste ein ethnographisch-novellistisches Meisterstück werden, nach welchem 100.000 Hände griffen."

Nun beginnt für May ein Puzzlespiel; er muss verschiedene Erzählungen in einen Zusammenhang bringen und darauf achten, dass alles zu Band I passt, den er parallel dazu komplett neu schreibt. Das ist besonders in Bezug auf die Person Winnetou wichtig, denn dieser ist in den frühen Erzählungen noch ein ausgesprochener "Wilder", der sich mit Kriegsfarbe bemalt, munter Skalps nimmt und noch nichts von dem edlen, jungen Häuptling hat, dem Old Shatterhand im ersten Band begegnet. May hat die Erzählung "Old Firehand" 1875, also vor mehr als 15 Jahren geschrieben und den Text 1879 für eine erste Buchausgabe unter dem Titel "Im fernen Westen" schon einmal umgearbeitet. Die Tochter Old Firehands namens Ellen war zum Sohn Harry geworden, was dem Autor jetzt, wo er die Erzählung in den zweiten Band aufnehmen will, sehr gut ins Konzept paßt. In der Urfassung wurde nämlich aus Ellen und dem damals noch namenlosen Ich-Erzähler ein Liebespaar, für Old Shatterhand eine schiere Unmöglichkeit, denn Helden müssen notorisch einsam sein. Old Firehand selbst, der in der Erstfassung stirbt, darf nun weiterleben, immerhin hat May ihn vor zwei Jahren zur Hauptperson der Jugenderzählung "Der Schatz im Silbersee" gemacht. May muss an der Firehand-Episode für "Winnetou II" manches ändern und neu schreiben, nur mit Schere, Papier und Leimtopf ist da nichts zu machen.

Ähnlich ergeht es ihm mit der Episode, die am Anfang des zweiten Bandes stehen soll. Es sind die Abenteuer mit Old Death, zuerst 1888/89 in der Zeitschrift "Deutscher Hausschatz" unter dem Titel "Der Scout" erschienen. Hier ist der Ich-Erzähler ein absolutes Greenhorn, das von dem alten Scout unter die Fittiche genommen wird. Das muss May natürlich umändern, er greift zu dem Kunstgriff der Verstellung und lässt Old Shatterhand den Anfänger vortäuschen, ein Spiel, das der berühmte Westmann in späteren Erzählungen immer wieder gerne mit Fremden spielt. Die Einleitung zum "Scout" muss aber wegfallen, sie ist trotzdem jedem May-Leser bekannt, beginnt sie doch mit der Erläuterung des Wortes "Greenhorn". Der Autor setzt diese Zeilen, leicht umgearbeitet, einfach an den Anfang des ersten Bandes, und so erklärt sich auch mancher Widerspruch. Der werdende Old Shatterhand in "Winnetou I" ist ja gar nicht so unbedarft, er übertrifft in kürzester Zeit erfahrene Westmänner wie Sam Hawkens, dem er sogar bei der allerersten Büffeljagd das Leben rettet.

Außer den umfangreichen Korrekturen muss May für Band II noch die Einleitung neu schreiben, in der Old Shatterhand von Mr. Henry den 25-schüssigen Stutzen erhält sowie den Schluss, in dem Santer, Mörder von Winnetous Vater und Schwester, wieder auftaucht. May verlangt übrigens für die neuen Kapitel kein Honorar von Fehsenfeld, das schreibt er in seinem Brief an den Verleger vom 10. Oktober 1892 ausdrücklich.

Für den dritten Band verwendet May die Erzählungen "Deadly Dust", 1879/80 im "Hausschatz" erschienen, sowie "Im wilden Westen Noramerikas", 1883 zuerst abgedruckt in der Zeitschrift "Feierstunden im häuslichen Kreise". Die Zusammenstellung von "Winnetou III" geht relativ leicht von der Hand, es bedarf nur weniger Streichungen und Hinzufügungen, so beispielsweise Santers Tod am Schluss des Bandes.

Wir erinnern uns an dieser Stelle noch mal des Satzes "Am liebsten schriebe ich alle 3 Bände neu". Winnetou stirbt bekanntlich im Kampf gegen feindliche Indianer, aber was schrieb Karl May in der Einleitung zu Band I? In der Erstausgabe steht dort: "Er, der beste, treueste und opferwilligste aller meiner Freunde, war ein echter Typus der Rasse, welcher er enstammte, und ganz so, wie sie untergeht, ist auch er untergegangen, ausgelöscht aus dem Leben durch die mörderischen Kugel eines Weißen." Heute lesen wir "eines Feindes", eine Korrektur, die May selbst für die 1908 erschienene illustrierte Ausgabe seiner Reiseerzählungen vorgenommen hat. Wollte May also 1893 eigentlich Winnetous Ende anders, als er es gut 10 Jahre vorher geschrieben hatte und in den dritten Band übernahm? Wenn Winnetou das Symbol für die indianische Nation ist, dann ist sein Tod durch die Kugel eines Weißen logischer als der durch einen namenlosen Krieger der Ogellallah. Möglicherweise hatte May diese Idee bei der Niederschrift der Einleitung von Band I im Hinterkopf. Spekulationen natürlich, aber sehr reizvoll und durch Mays "Fehler" im Jahre 1893 nicht ganz von der Hand zu weisen.

"Winnetou I" erscheint im März 1893, die Folgebände im Juni und August desselben Jahres, zuerst unter dem Titel "Winnetou der rote Gentleman", den May 1904 in das schlichte "Winnetou" ändert, denn "eine Idealgestalt wie Winnetou darf nicht von der Terminologie Onkel Sams (gemeint sind die USA) berührt werden", so May in einer Korrekturnotiz an die Druckerei.

"Winnetou" war und ist Karl Mays Megaerfolg. Andere Ausgaben nicht mitgerechnet, wurden bei Fehsenfeld und dessen Rechtsnachfolger, dem Karl-May-Verlag, bisher von Band I 3.783.000, von Band II 3.242.000 und von Band III 2.986.000 Exemplare hergestellt. An diese Zahlen reicht nur noch "Der Schatz im Silbersee" mit 3.191.000 Exemplaren heran.

Rolf Dernen

Dieser Beitrag stammt mit freundlicher Genehmigung des Autoren und der Redaktion aus "Karl May & Co.", dem Karl-May-Magazin.