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Essay "Allgemeines zu Mays Gedichten"

Daten

TitelAllgemeines zu Mays Gedichten
AutorJutta Laroche

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Konkordanz dieser Texte

TitelUntertitelKurzbemerkung
Ave Maria Gedicht
Himmelsgedanken 
Weihnachtsabend 

Konkordanz dieser Texte

Ich sehe Berge ragen bis in des Lichtes Reich

Karl Mays Gedichte

Inhaltlich geht es in Karl Mays Gedichten vorrangig um Religion, besser gesagt um Gottes- und Nächstenliebe. Aber auch die Schönheit der Natur wird er nicht müde zu preisen. Man gewinnt den Eindruck, dass er mit offenen Augen und empfänglich für alles Schöne umherging, dem Schöpfer zutiefst dankbar für das Geschenk der Schöpfung. Und so sind selbst Verse, die an sich nichts mit Religion zu tun haben, durchdrungen von Mays inniger Gottesverbundenheit.

Frühling

Es ist ein linder Frühlingshauch
Heut übers Feld gegangen.
Und nun will Wiese, Baum und Strauch
In tausend Blüten prangen.
Schon morgen wohl, schon über Nacht
Gibt's rings ein duftend Sprießen;
O Frühlingswonne, Frühlingspracht.
Sei mir, sei mir gepriesen!

In meine Seele ist ein Strahl
Vom Himmel mir gedrungen.
Und nun sind Blüten ohne Zahl
Wie draußen aufgesprungen.
Das sproßt und treibt, will dankbar sein,
Will Glück und Freude spenden.
Herrgott, laß diesen Sonnenschein
Doch niemals in mir enden!

Wer so schreibt, muss sehr viel Liebe in sich tragen! Allen Anfeindungen und Neidern zum Trotz hatte sich Karl May ein liebendes Herz bewahrt, wie uns nicht nur diese Verse offenbaren. Mögen sie auch von manchen Kritikern als kindlich-naiv abgetan werden, eines sind sie ganz gewiss - sie sind ehrlich.
Diese Ehrlichkeit in seinen Gedichten versöhnt immer wieder mit gelegentlich auftauchenden sprachlichen Holprigkeiten (die wir übrigens auch bei den Großen der Poesie finden) und etwas unglücklich gewählten Metaphern. Es sei ihm verziehen, denn er ist, wie er ist - ungekünstelt! Der Inhalt bedeutet ihm mehr als die äußere Form.

Karl Mays Gottesverbundenheit geht Hand in Hand mit seiner Naturverbundenheit und diese wiederum mit der Sorge um ihren Erhalt. Vor allem ist es der Wald, dem er besonders zugetan scheint. In dem Gedicht "Das Volkslied" heißt es in der zweiten Strophe:

Hörst du denn nicht der Äxte Schlag
Durchs Heiligtum erschallen,
Und siehest du nicht Tag für Tag
Die Säulen niederfallen?

Auch das Folgende klingt, als habe er es mahnend für unsere Zeit geschrieben:

Des Waldes Seele

Es war im Wald. Die Bäume alle schliefen;
Der Mond belauschte lächelnd ihren Traum,
Die Schatten lagen ruhig in den Tiefen;
Die Welle küßte still des Weihers Saum.

Da kam ein linder, milder Hauch gezogen,
Des Träumenden gewürzger Atemzug,
Der in des Maienduftes zarten Wogen
Des Waldes Seele auf zum Himmel trug.

Die Seele des Waldes fleht nun zu Gott, er möge den Menschen ihren Unverstand nehmen:

Laß mich nicht sterben, laß mich nicht verschmachten,
Sonst ist's auch um ihr eignes Heil geschehn.
Lehr sie, den Wald mit Liebe zu betrachten,
Damit sie endlich seine Seele sehn!

Denn der Mensch ist nicht nur blind für die Unentbehrlichkeit des Waldes, er ist auch taub dem Gesang der Vögel gegenüber. Das Gedicht endet mit den ergreifenden und so aktuellen Zeilen:

Er wird nun deine Sänger nicht nur hören;
Er wird das, was sie singen, auch verstehn:
Hör auf, hör auf, die Wälder zu zerstören,
Sonst wirst mit ihnen du auch untergehn!

Das Gedicht "Krieg", von dem zwei Fassungen existieren (oder handelt es sich vielleicht doch um zwei Strophen?), stammt aus dem Nachlass Karl Mays, aus der Mappe betitelt "Bruch. I". In beklemmender Weise - so dass man den Eindruck gewinnen könnte, der Dichter habe bereits das Inferno des Ersten Weltkrieges vorausgeahnt - lässt er vor unseren geistigen Augen, einem Maler gleich, ein Schreckensbild entstehen:

Es liegt vor mir ein weites Trümmerfeld,
Das sich vom Einst bis auf das Heut erstreckt,
Die Klagewüste einer Schattenwelt,
Die selbst den Mut des Mutigsten erschreckt.
Und mitten in der Öde, blutig rot,
Getränkt von Krieg und Sieg ein (tiefer See;)
Da haust als Völkermord der Heldentod
Und badet sein Skelett im Menschenweh.

Es liegt vor mir ein weites Trümmerfeld,
Das sich vom Einst bis auf das Heut erstreckt,
Die Klagewüste unsrer Schattenwelt,
Die selbst den Mut des Mutigsten erschreckt.
Und mitten in der Öde, blutig rot,
Von Krieg und Sieg getränkt ein tiefer See;
Drin badet sich der edle Heldentod
Als nackter Völkermord im Menschenweh.

Hier wird sprachlich eine tiefe Eindringlichkeit erreicht, verstärkt dadurch, dass in der zweiten Fassung "eine" Schattenwelt ersetzt wird durch "unsere" Schattenwelt. Schillers Worten, dass der Mensch in seinem Wahn der Schrecklichste der Schrecken sei, folgt Karl May mit der Abwandlung der letzten Zeilen in der zweiten Fassung. Er enttarnt den "edlen Heldentod". Er reißt ihm die Maske ab und bezeichnet ihn als Völkermord - ja, schlimmer noch und beeindruckender, als "nackten" Völkermord! Keines der Schlachtfelder des Ersten und Zweiten Weltkrieges hat der Dichter gesehen, und dennoch schildert er die Hölle des Krieges so realistisch, dass wir beim Lesen dieses Gedichtes unwillkürlich erschauern.

Hat uns "Krieg" tief bewegt, dann erschüttert uns das Folgende nicht weniger. Doch es greift ein ganz anderes Thema auf.

Die fürchterlichste Nacht

Kennst du die Nacht, die auf die Erde sinkt
Bei hohlem Wind und schwerem Regenfall,
Die Nacht, in der kein Stern vom Himmel blinkt,
Kein Aug' durchdringt des Wetters dichten Wall?
So finster diese Nacht, sie hat doch einen Morgen;
O lege dich zur Ruh, und schlafe ohne Sorgen.

Kennst du die Nacht, die auf das Leben sinkt,
Wenn dich der Tod aufs letzte Lager streckt
Und nah der Ruf der Ewigkeit erklingt,
Daß dir der Puls in allen Adern schreckt;
So finster diese Nacht, sie hat doch einen Morgen;
O lege dich zur Ruh und schlafe ohne Sorgen!

Kennst du die Nacht, die auf den Geist dir sinkt,
Daß er vergebens nach Erlösung schreit,
Die schlangengleich sich um die Seele schlingt
Und tausend Teufel ins Gehirn dir speit?
O halte fern dich ihr in wachen Sorgen,
Denn diese Nacht allein hat keinen Morgen!

Wer "Winnetou II" gelesen hat, wird sich sofort erinnern. Hier geht es nicht um Religion, die im ersten Teil dieses Artikels behandelt wurde, sondern um das Thema Geisteskrankheit. Selbstverständlich ist Karl May der Verfasser, auch wenn er es in der Handlung dem geistig verwirrten William Ohlert zuschreibt. Ich habe das Gedicht hier aus zwei Gründen wiedergegeben. Zum einen unterscheidet es sich so gänzlich von Mays sonstigem dichterischen Werk, zum anderen weckt es Assoziationen zu seiner Autobiografie. In "Mein Leben und Streben" (Bd. 34 GW "Ich") berichtet er von zeitweiliger Verwirrtheit, in der er von Stimmen und Wahnvorstellungen geplagt worden sei. Er habe Angst davor gehabt, geisteskrank zu werden. Ich weiß, dass manche diese Aussage bezweifeln, aber ich persönlich glaube sie ihm - vor allem deshalb, weil er so detailliert schreibt. Es ist, als gäbe hier einer wieder, was er selbst erfahren musste. Vor allem die Formulierungen "sich schlangengleich um die Seele schlingen" und "tausend Teufel ins Gehirn speien" sind meiner Meinung nach sehr aussagekräftig. Glaubwürdig auch deshalb, weil dieses Gedicht eines seiner frühesten war und vermutlich bereits 1863 entstand, ihm also die schrecklichen Erlebnisse noch in frischer Erinnerung hafteten. William E. Thomas schreibt dazu: "Die Originalhandschrift hat keinen Titel und unterscheidet sich von der veröffentlichten Version in der dritten Zeile der dritten Strophe. Statt wie im Original ums Gedächtniß heißt es in der gedruckten Version um die Seele." Im Roman sagt Old Shatterhand, das Gedicht habe ihn berührt. Ja, es hat ganz sicher auch viele Leser berührt!

Zum Glück wurde hier einmal nicht der Rotstift angesetzt, wahrscheinlich, weil es von "William Ohlert" stammt. Zum Glück?
Bedauerlicherweise drängt sich dieser Gedanke auf. Ich habe aus gutem Grund darauf verzichtet, Mays Gedichte mit denen anderer zu vergleichen. Jeder Dichter versucht das auszudrücken, was er und nur er empfindet. Ihm stehen dieselben Worte und Metaphern zur Verfügung wie einem anderen, doch wird er immer jene wählen, welche ihm am treffendsten erscheinen. Wir können nicht das Thema Mays Gedichte behandeln, ohne auf die früheren (!) Bearbeitungen hinzuweisen. In seinem Vorwort zu "Lichte Höhen" (Bd. 49 GW) hat Christoph F. Lorenz dazu Stellung genommen. Seine Ausführungen sind zweifellos interessant; ich empfehle sie nachzulesen. Mich jedoch hat er nur bedingt überzeugt. Wozu denn überhaupt Bearbeitungen von Gedichten? Selbst wenn man unterstellt, dass der Bearbeiter nur das Beste wollte - diese Bearbeitungen reichen von "behutsam" bis hin zu "dreist"! Kann man noch verstehen, wenn aus dem mundartlichen "spitzt es wie Diamantenschimmer" ein "glänzt es wie Diamantenschimmer" wird, dann fragt man sich doch, wieso der Bearbeiter "Ich sehe Berge ragen bis in des Lichtes Reich" umgewandelt hat in "Ich sehe Berge ragen hinauf in lichte Höhen". Es mag geschliffener klingen, zweifellos. Aber die Bearbeitung ist höchst überflüssig und die Worte eben nicht Mays Worte! Auch empfinde ich es als sonderbar, dass - wenn schon - hier nicht ein Dichter einen Dichter "verbessert"! Das zumindest könnte man doch erwarten. Vielleicht wäre einem solchen aufgefallen: Des Lichtes Reich, also das Reich des Lichtes, ist ganz und gar nicht dasselbe wie lichte Höhen.

Etwas anderes hat mich auch gestört. Da wird May kritisiert, weil er in seinem Gedicht "Oberflächlichkeit" schreibt:

Du gehst auf einem weichen Moor,
Das du wohl fest und sicher nennst,
Nur weil du seinen Blumenflor
Nicht als zum Sumpf gehörig kennst.

Man behauptet, ein Blumenflor wäre in einem Sumpf kaum vorstellbar. Doch, meine Herren Bearbeiter: Es wachsen Orchideenarten im Moor, Sonnentau, Kohldisteln und Mehlprimeln, Sumpfdotterblumen, die weiße Frühlingsknotenblume, um nur einige zu nennen. Zugegeben, die Formulierung des Bearbeiters "Nur weil du seinen Blumenflor / Nicht als ein Sumpfgewächs erkennst" ist vielleicht "oberflächlich" geschickter zu nennen, sagt aber auch hier nicht ganz dasselbe aus. Ich glaube, Karl May meinte das gar nicht. Ihm ging es nur um den Vergleich, nicht um die Realität. Denn bei May können alle möglichen Blumen in Frage kommen, deren Blütenpracht wir kennen, die aber - aus unserer Erfahrung - nicht im Sumpf wachsen. Man sieht beispielsweise ein Feld voller Sonnenblumen und kennt sie als "nicht zum Sumpf gehörig".
Darum eben täuscht der Blumenflor so gefährlich. Der Bearbeiter dagegen setzt den Blumenflor ganz einfach mit einem Sumpfgewächs gleich. Hier geht es nicht um Stil, hier geht um die Feinheiten der Sprache, um den Unterschied zwischen "kennen" und "er-kennen".

In einem Brief an Marie Hannes schreibt Karl May: "Mein Kind, verwechsele nicht die Seele eines Gedichtes mit den geschriebenen Versen! Denke darüber nach, was ich wohl gemeint haben mag!"

Und im Übrigen kann ich als Dichter schreiben, was ich will! Ich kann Rosen im Moor wachsen lassen und Kakteen - das ist meine eigene, geistige Schöpfung, mag es das in der Wirklichkeit auch nicht geben.

Was so besonders ärgerlich ist an den Bearbeitungen: dass der Autor selbst keine Möglichkeit zum Widerspruch mehr hat. Gut, heute liegen die Gedichte wieder in ihrer ursprünglichen Form vor, aber wie viele haben in der Vergangenheit Mays Gedichte gelesen und geglaubt, sie stammten so, wie sie sie lasen, von ihm! Mag er auch Schwächen aufweisen, welcher Autor, welcher Dichter kann sich davon freisprechen? Selbst ein Goethe hat sich nicht immer auf demselben hohen Niveau bewegt. Doch wer würde es wagen, ihn zu verbessern? Wer also glaubt, Mays Verse müssten bearbeitet werden, der sollte zumindest klar und deutlich erkennen lassen, was von ihm selber stammt und was von May geschrieben wurde.

Ich kam bereits kurz auf die Bearbeitung des Gedichtes "Ragende Berge" zu sprechen. Da ich eine Zeile daraus als Titelüberschrift für diesen Artikel gewählt habe und es außerdem zu Mays gelungeneren Gedichten gehört, soll es an dieser Stelle nicht übergangen werden.

Ragende Berge

Ich sehe Berge ragen
Dort an der Steppe Rand.
Es soll mein Fuß mich tragen
Hinauf ins bessre Land.
Dort ladet, wie ich glaube,
Zur Ruhe man mich ein.
Und von dem Wanderstaube
Werd ich gereinigt sein.

Ich sehe Berge ragen
Empor zum geistgen Ziel.
Es türmen sich die Fragen,
Doch frage ich nicht viel.
Es wird ja doch beim Steigen,
Halt ich zuweilen an,
Sich ganz von selber zeigen,
Wie weit ich schauen kann.

Ich sehe Berge ragen
Bis in des Lichtes Reich.
Der Glaube wird mir sagen
Den Weg, den rechten Steig.
Dort find ich offfne Türen;
Mein Engel tritt heraus
Und wird mich weiter führen
Bis in das Vaterhaus.

Dass Karl May ein großartiger Erzähler war, bestreiten auch seine Kritiker nicht. Ob er ein guter Dichter war, mag jeder für sich selbst entscheiden. Denn das eine impliziert nicht notwendig das andere.

Mit einem Sinnspruch Karl Mays, ebenfalls entnommen aus "Lichte Höhen" (wie auch alle anderen Gedichte, sofern die Quelle nicht besonders genannt wurde), möchte ich diese kleine Betrachtung seiner Gedichte beenden und hoffen, dass vielleicht die Lyrik Karl Mays irgendwann in der Zukunft neue Beachtung und neue Freunde finden wird. Sollte mein Artikel auch nur ein wenig dazu beitragen, würde es mich sehr freuen.

Jutta Laroche

Karl May:

Es ist keine Welt so groß,
daß sie nicht in dir geistig Raum finden könnte.