Titelbild
i Login
anonym
Druckansicht Hilfe
Icon
Login
Icon
Start
Icon
Verlage
Icon
Texte
Icon
Bände
Icon
Reihen
Icon
Extras
Forum
Forum
Icon
Gästebuch
Wiki
Wiki
Impressum
Impressum
Logo Karl-May-Verein

Essay "Lichtes Reich, 1. Teil"

Daten

TitelLichtes Reich, 1. Teil
AutorJutta Laroche

Zugeordnete Texte

Dieser Klammer sind keine Texte zugeordnet.

Ich sehe Berge ragen bis in des Lichtes Reich

Karl Mays Gedichte, 1. Teil

Karl May ein Dichter? Der Schöpfer Old Shatterhands, Winnetous, Kara Ben Nemsis und Hadschi Halef Omars ein Lyriker? Wer nur seine Jugend- und Reiseerzählungen gelesen hat, mag sich verwundert die Augen reiben und sich fragen, warum eigentlich sind seine Gedichte der breiten Öffentlichkeit so unbekannt?
Ja, warum eigentlich? Sind sie so schlecht oder hat sich der Zeitgeschmack gewandelt? Waren sie früher beliebter und sind nur in Vergessenheit geraten?

Um gleich auf die letzte Frage einzugehen: Karl Mays Gedichte haben sich im Gegensatz zu seinen Amerika- und Orienterzählungen zu keiner Zeit allgemeiner Beliebtheit erfreut. Man könnte auf den Gedanken kommen, Hermann Cardauns habe mit dem vernichtenden Satz: "Als lyrischen Dichter müssen wir uns Herrn May verbitten" dafür gesorgt. Aber hier wiederum könnte man dagegenhalten: Wären die Gedichte wirklich gut gewesen, dann hätten sie sich dennoch durchgesetzt. Gut oder schlecht? Die Wahrheit, glaube ich, liegt wie so oft in der Mitte. Wer nur das eine oder das andere gelten lässt, der macht es sich zu einfach.
Gedichte sind etwas sehr Persönliches. Sie sprechen unsere Gefühle an und die jeweilige Situation, in der wir uns befinden. Das kann an einem regnerisch-düsteren Tag ganz anders aussehen als während eines Spaziergangs am Strand bei hellem Sonnenschein, beim Tod eines geliebten Menschen ganz anders als bei der Geburt des langersehnten Kindes. Und plötzlich lesen wir ein Gedicht, das wie keines unserer Stimmung entspricht. Es drückt aus, was wir empfinden, und wir wissen, der Verfasser muss einmal dasselbe erlebt haben.
Da ist es uns gleichgültig, wer der Dichter gewesen ist, ob Theodor Fontane, Hermann Löns, Joseph von Eichendorff oder Rainer Maria Rilke, ob Annette von Droste-Hülshoff, ein Unbekannter, von dem wir noch nie zuvor gehört haben, oder - Karl May! Es ist sogar gleichgültig, falls wir es wissen, ob dieses Gedicht von Literaturkritikern gelobt oder getadelt wurde. Wenn es unsere Gefühle in Worte fasst, dann lieben wir es. Wir lieben es an diesem Tag, zu dieser Stunde - um uns vielleicht schon bald dessen zu schämen, weil wir inzwischen zur Kenntnis nehmen mussten, dass es "kitschig" genannt wird.

Ein Beispiel dafür ist Karl Mays Gedicht "Sonnenschein":

Sei lieb, sei gut und zürne nicht!
Warum willst du nicht gütig sein?
Dein Leben sei wie ein Gedicht,
Das Titelwort "Nur Sonnenschein".

Schau dir die liebe Sonne an!
Ihr Segen reicht so weit, so weit.
Sie leuchtet nicht bloß dann und wann;
Sie tut es stets, zu aller Zeit.

Sei lieb; sei gut und zürne nicht;
Denk immer an den Sonnenschein;
Dann wird dein Leben ein Gedicht
Des Himmels für die Erde sein.
(1., 2. und, 6. Strophe)

(An dieser Stelle sei erwähnt, dass alle hier aufgeführten Gedichte - sofern nicht gesondert darauf hingewiesen wird - dem Band 49 GW "Lichte Höhen" entnommen wurden.)

Nun ist das so eine Sache mit dem Kitsch bzw. das, was wir gewöhnlich damit bezeichnen. Der eine wendet sich verächtlich ab und lässt nur die "wahre" Kunst gelten (was immer das sein mag), dem anderen ist es egal, Hauptsache es gefällt ihm. Doch gerade im Falle Karl Mays scheiden sich die Geister. Viele, die sein Spätwerk loben, belächeln (selbstgefällig?) seine Lyrik. Selbst Mays Verleger Fehsenfeld war alles andere als begeistert von den "Himmelsgedanken". Aber Lyrik in Buchform herauszugeben, war und ist aus den genannten Gründen immer ein Risiko. Dazu kommt erschwerend hinzu, dass allein der Name Karl May eher belastet als begünstigt. Er steht für Abenteuer, Spannung, Helden und Schurken. Früher wie heute. Das allein aber darf kein Kriterium sein - wie im Falle seines Dramas "Babel und Bibel". Wer fair sein will, der muss unvoreingenommen prüfen und dabei nie aus den Augen verlieren: Es kann kein endgültiges Urteil geben, Lyrik spricht jeden auf verschiedene, auf ganz subtile Weise an. Wie bekannt war Karl Mays Orientreise 1899/1900 ein tiefer Einschnitt in seinem Leben. Hier entstanden viele seiner Gedichte, die der Verlag Fehsenfeld im Jahre 1900 unter dem Titel "Himmelsgedanken" veröffentlichte. Nach Mays Tod erschienen sie nach 1913 im neugegründeten Karl May Verlag, 1918 erweitert um das Drama "Babel und Bibel". Erst 1956 gab es eine Neuauflage unter dem Titel "Lichte Höhen" - allerdings enthielt sie Bearbeitungen May'scher Texte. "Lichte Höhen", Bd. 49 der GW präsentiert heute aber wieder die "Himmelsgedanken" in der Originalfassung Karl Mays.

Liest man Karl Mays Gedichte, dann fällt sogleich auf, dass die meisten von ihnen religiös geprägt sind. Und es zeigt sich wie auch in seiner Prosa, dass Mays Überzeugung von einem Weiterleben nach dem Tode unerschütterlich ist. Immer wieder kommt das zum Ausdruck, zum Beispiel auch bei den Versen, die er "An die Mutter" widmete:

Ich hab gefehlt, und du hast es getragen.
So manches Mal und ach, so lang und schwer.
Wie das mich nun bedrückt, kann ich nicht sagen.
O komm noch einmal, einmal zu mir her.

Du starbst ja nicht; du bist hinaufgestiegen
Zu reinen Geistern, meiner Mutter Geist.
Ich weiß, du siehst jetzt betend mich hier liegen;
O komm, o komm und sag, daß du verzeihst!

(1. und 2. Strophe)

Jeder, der seine geliebte Mutter verlor, wird die eigenen Gefühle in diesen Zeilen wiederfinden. Mays Lyrik sagt gewiss weitaus mehr über den Verfasser aus als seine Prosa. Aus den Zeilen spricht eine tiefe, beinahe kindliche Gläubigkeit, die gelegentlich rührend wirkt, mit Frömmelei nichts, aber auch gar nichts zu tun hat. Das folgende Gedicht ist wie so viele eher ein Gebet und - es ist schön:


Herr, gib mir Schwingen, aufzusteigen
Aus dunkler Nacht zum hellen Licht!
Du willst mir deinen Himmel zeigen,
und ich, ich komm und komme nicht.
Es halten mich die Eigenschaften
Des Staubes an der Erde hier;
Ich aber will nicht unten haften;
Hilf mir hinauf, hinauf zu dir!

("Empor", 1. Strophe)

Hinauf! Empor ins Reich der Edelmenschen - auch das Thema seines letzten Vortrages. Die Sehnsucht eines ganzen Lebens (Wollschläger nennt es gebrochen) halten diese Zeilen fest. Und wie von selbst wandern die Gedanken hin zu Martin Luther:

Aus tiefer Not schrei ich zu dir.
Herr Gott, erhör mein Rufen

Wenn ich die oben zitierten Verse Mays mit voller Überzeugung schön nannte, dann muss ich gestehen, dass die nachfolgenden mich enttäuschen:

Sei mir gegrüßt in stiller Stunde,
du liebes, frohes Händefalten!
Du trägst zum Himmel auf die Kunde,
dass ich vertraue seinem Walten.
Des Tages Last ist mir genommen.
Und meine Seele ruht im Herrn.
Ich darf mit Dank und Bitten kommen,
und ich, ich komme ja so gern.

("Andacht", 1. Strophe)

Hier empfinde ich May als schwach und verstehe beinahe, wenn seine Gedichte in "Bausch und Bogen" verworfen werden.
Abgesehen davon, dass zu seiner Zeit "erbauliche" Lektüre wie diese gang und gäbe war - er wollte mehr, er wollte aufsteigen in "den Tempel des Olymp" und dazu reichen solche Verse eben nicht, mögen selbst die oben zitierten auch noch weitaus besser sein als diejenigen vieler Zeitgenossen. May muss sich an seinen eigenen Worten messen lassen. In "Winnetou IV" ("Winnetous Erben", Bd.33 GW) schreibt er, als er Zeichnungen seines roten Freundes betrachtet, Winnetou wäre begabt gewesen, aber noch nicht einmal Schüler. Angesichts so mancher Gedichte muss sich "Old Shatterhand" dieselben Vorhaltungen gefallen lassen. Hat er das geahnt, als er für eines die Leser gleichsam um Nachsicht bat mit der Erklärung, er habe es als Schüler verfasst?
Im Zusammenhang mit dem Thema "Schutzengel", welches ihn zeit seines Lebens fesselte, nahm er es in den 3. Teil seines Romans "Old Surehand" auf (Bd. 15 GW). Die erste Strophe lautet:

Es gibt so wunderliebliche Geschichten,
Die bald von Engeln, bald von Feen berichten,
In deren Schutz wir Menschenkinder stehn.
Man will so gern den Worten Glauben schenken
Und tief in ihren Zauber sich versenken,
Denn Gottes Odem fühlt man daraus wehn.

Sehr häufig finden sich in Karl Mays Gedichten Belehrungen, Ermahnungen zum Guten, zur Umkehr bzw. Warnungen vor der Gleichgültigkeit, dem Beschreiten falscher Wege oder der Unterlassung, an sich selbst zu arbeiten. So endet das Gedicht "Läuterung" mit den Zeilen:

"[...] Und alles, was du jetzt versäumst,
Muß nachgeholt, gebüßt einst werden!"

In "Hinauf - hinab" heißt es erschütternd deutlich:

"[...] Und dennoch ist der Abgrund unserer Sünden
Das grausig Tiefste, was es geben kann."

Mays innere Überzeugung von einem zukünftigen Strafgericht Gottes kommt auch in den folgenden Versen klar zum Ausdruck. Er stellt eindringliche Fragen, die aufrütteln und mahnend zur Besinnung bringen sollen:

Das Gewissen

Was tatest du, als ich dich einstens bat,
Nach Gottes Wohlgefallen nur zu streben?
Ich wollte dir das Glück des Lebens geben;
Nun aber sag, was galt dir da mein Rat?

Was tatest du, als ich dich einst belehrt,
Daß deine Wege falsche Wege seien?
Ich wollte dich vom Bösen gern befreien;
Nun muß ich fragen: Hast du dich bekehrt?

Was tatest du, als ich dich dann verließ?
Ich glaubte wohl, du würdest mich vermissen
Und reuevoll um mich zu bitten wissen;
Nun frag ich dich: Was hat geholfen dies?

Jetzt komme ich ein letztes Mal zu dir
Und frage dich: Wozu bist du geboren?
Hörst du auch diesmal nicht, bist du verloren;
Ich bin es, dein Gewissen. Folge mir!

Wenn von Mays religiösen Gedichten die Rede ist, dann darf natürlich jenes nicht fehlen, das vielleicht sein bekanntestes ist. Sein ursprünglicher Titel "Weihnachtsabend" wurde von May umgeändert in "Weihnacht" und zieht sich wie ein roter Faden durch den gleichnamigen Roman.

Ich verkünde große Freude,
Die Euch widerfahren ist.
Denn geboren wurde heute
Euer Heiland Jesus Christ!

Jubelnd klingt es durch die Sphären,
Sonnen künden's jedem Stern;
Weihrauch duftet auf Altären,
Beter knieen nah und fern.

Aus Platzgründen wollen wir es bei den ersten acht Zeilen belassen, denn insgesamt besteht das Werk aus 18 Strophen (von May verfasst, später noch erweitert). Nachzulesen ist es u.a. in Band 49 GW "Lichte Höhen" und in Band 24 GW "Weihnacht" (erstmals 1897 im Verlag von Friedrich Ernst Fehsenfeld erschienen). Auch hier weist May nachdrücklich daraufhin, dass er das - leitmotivistisch eingesetzte - Weihnachtsgedicht als Schüler "verbrochen" habe. Nicht zuletzt wohl, um sich der Kritik zu entziehen. Denn den frühesten Entwurf des Gedichtes hat er wahrscheinlich während einer Haftstrafe in den Jahren zwischen 1865 und 1868 niedergeschrieben, war also Mitte zwanzig. "Weihnacht" ist ein Gedicht, das weniger vom Zauber der Sprache, als vielmehr vom Zauber eben dieses Festes "lebt". Der, welcher sich diesem Zauber hingeben, für ein paar Stunden den tristen Alltag eintauschen will gegen festlichen Lichterglanz, der wird dieses Gedicht mit großer Rührung lesen. Auch, wenn es keinen literarischen Wert besitzt, so wird es ganz sicher seiner Stimmung entsprechen.
Aber muss denn jede Poesie immer und unbedingt ein Kunstwerk sein? Ginge es allein darum, dann wären unzählige Gedichte, Lieder, Balladen vermutlich nie geschrieben bzw. veröffentlicht worden und die Menschheit wäre um vieles ärmer, die Welt wäre kälter! Ein Beispiel dafür ist Karl Mays "Ave Maria", das er auch selbst vertont hat. Welchem seiner Leser sind nicht die Tränen in die Augen gestiegen, als die Siedler es dem sterbenden Winnetou sangen?

Es will das Licht des Tages scheiden;
Nun bricht die stille Nacht herein.
Ach könnte doch des Herzens Leiden
So, wie der Tag vergangen sein!
Ich leg mein Flehen dir zu Füßen;
O trag?s empor zu Gottes Thron,
Und laß, Madonna, laß dich grüßen
Mit des Gebetes frommem Ton:
Ave, ave, Maria!

Es will das Licht des Lebens scheiden;
Nun bricht des Todes Nacht herein.
Die Seele will die Schwingen breiten;
Es muß, es muß gestorben sein.
Madonna, ach, in deine Hände
Leg ich mein letztes, heißes Flehn:
Erbitte mir ein gläubig Ende
Und dann ein selig Auferstehn!
Ave, ave, Maria!


(1. und 3. Strophe)

Dieses schöne Lied ist auf einer CD erschienen, die dem Buch "Karl May und die Musik" (Karl May Verlag) beigefügt ist. Außerdem ist die CD "Karl Mays Kompositionen" im Verlag Motette/Ursina im Karl May Museum und auch im Handel erhältlich.

Zum Schluss möchte ich das Gedicht zitieren, das auch von Mays Kritikern anerkannt wird. Vielleicht, weil es wie kaum ein anderes die innere Müdigkeit, die Resignation angesichts der Prozessflut und Hetzjagd, deren er sich im Alter ausgesetzt sah, widerspiegelt. Aber auch seine Tapferkeit und innere Stärke. Man sagt gemeinhin, das wären seine besten Verse. Doch ich erinnere daran, dass jeder Mensch seine ganz persönliche Einstellung zur Poesie hat, die sich wandeln kann, die auch nicht unbedingt dem entsprechen muss, was Literaturkenner davon halten. Und - Gott sei Dank, möchte ich hinzufügen!

Im Alter

Ich bin so müd, so herbstesschwer
Und möcht am liebsten scheiden gehen.
Die Blätter fallen rings umher;
Wie lange, Herr, soll ich noch stehn?
Ich bin nur ein bescheiden Gras,
doch eine Ähre trug auch ich.
Und ob die Sonne mich vergaß,
Ich wuchs in Dankbarkeit für dich.

Ich bin so müd, so herbstesschwer
Und möcht am liebsten scheiden gehen.
Doch brauche ich der Reife mehr,
So laß mich, Herr, noch länger stehn.
Ich will, wenn sich der Schnitter naht
Und sammelt Menschengarben ein,
Nicht unreif zu der Weitersaat
Für dich und deinen Himmel sein.