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Essay "Et in terra pax / Und Friede auf Erden!"

Daten

TitelEt in terra pax / Und Friede auf Erden!
AutorRolf Dernen

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TitelUntertitelKurzbemerkung
Et in terra pax 
Und Friede auf Erden 

Konkordanz dieser Texte

Und Friede auf Erden!

Aus der Werkstatt eines Erfolgsschriftstellers IX

Karl Mays Orientreise von März 1899 bis Juli 1900 hatte großen Einfluss auf Denken und Handeln des Autors. Bereits die kurz vor der Abreise fertig gestellte Erzählung "Am Jenseits" war kaum noch mit den früheren Abenteuergeschichten zu vergleichen; Mays erster Roman des zwanzigsten Jahrhunderts sollte die Leser um einiges mehr überraschen.

Der Zeitgeist um die Wende vom 19. zu 20. Jahrhundert war - nicht nur in Deutschland - höchst nationalistisch und imperialistisch eingefärbt. Die europäischen Großmächte versuchten, den Rest der Welt unter ihre Herrschaft zu bekommen. China beispielsweise war in Interessenssphären aufgeteilt worden, europäische Mächte genossen wirtschaftliche Sonderrechte. Dies führte zu wachsender Fremdenfeindlichkeit im "Reich der Mitte" und hatte den sogenannten "Boxer-Aufstand" von 1900 zur Folge. Den niederzuschlagen war die Aufgabe eines internationalen Hilfscorps; Großbritannien, Russland, Japan, die USA Frankreich und mit einer gewissen Verspätung auch Deutschland entsandten Truppen nach China. Zur Verabschiedung letzterer hielt Kaiser Wilhelm II am 27. Juli 1900 in Bremerhaven eine Rede, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ:
"Kommt ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer euch in die Hände fällt, sei euch verfallen! Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, daß es niemals wieder ein Chinese wagt, einen Deutschen scheel anzusehen!"
Als "Hunnenrede" sollte dieser "Kaiserliche Scheidegruß" in die Geschichte eingehen.

Der Verleger und Herausgeber Joseph Kürschner, der sich 1901 anschickte mit dem höchst patriotischen Sammelwerk "China. Schilderungen aus Geschichte. Krieg und Sieg". "Ein Denkmal den Streitern und der Weltpolitik" (so der Untertitel) in Papierform zu errichten, kannte Karl May wohl schon seit 1883, als dieser begonnen hatte, für die von Kürschner redigierte Zeitschrift "Vom Fels zum Meer" Erzählungen zu schreiben. Und Mays in China spielende, in der Zeitschrift "Der gute Kamerad" veröffentlichte Erzählung "Kong-Kheou, das Ehrenwort" (Titel der späteren Buchausgabe: "Der blaurote Methusalem") dürfte ihm auch nicht unbekannt gewesen sein. Verleger beider Blätter war Wilhelm Spemann und wahrscheinlich hatte Kürschner diesen für Mays Beteiligung am "Kameraden" gewinnen können. Für den dritten Teil des "China"-Projektes "Erzählendes und Anderes von und aus China" sollte der Autor May, in dessen Texten doch stets deutsche Helden in der Fremde für Ordnung sorgten, einen in den nationalchauvinistischen Tenor des Werkes hineinpassenden Text verfassen.

Karl May sagt zu. Es ist die Zeit, in der sich das Schicksal des umjubelten Autors wendet. Mays Münchmeyer-Romane werde unautorisiert in Buchform herausgegeben, May wird dagegen gerichtlich vorgehen. Auch ist er längst nicht mehr das Lieblingskind der Presse wie noch einige Jahre vorher. Schon während der Orientreise hatte es Angriffe gegeben, die sich unter anderem auf die Selbstdarstellung des Autors als Old Shatterhand bzw. Kara Ben Nemsi bezogen. Von dieser Attitüde ist May inzwischen fast völlig abgerückt und der Text, dessen Anfang er am 31. Mai 1901 abschickt, ist von ganz anderer Art, als man es bisher von ihm gewohnt ist. Bereits der Titel der Erzählung, "Et in Terra Pax", weist darauf hin, dass es sich wohl kaum um ein munteres Abenteuer handeln kann.
In der späteren Buchausgabe (1904) stellt May die Situation folgendermaßen dar: "Damals frug ein rühmlichst bekannter, inzwischen verstorbener Bibliograph bei mir an, ob ich ihm ebenso wie zu früheren Unternehmungen nun auch zu einem großen Sammelwerk über China einen erzählenden Beitrag liefern könne. Diese Anfrage geschah telegraphisch, weil ihm die Sache eilte. Ich zögerte nicht, ihm ebenso telegraphisch eine bejahende Antwort zu senden, denn ich hatte vor kurzem "Und Friede auf Erden" zu schreiben begonnen, hoffte, es schnell zu beenden, und kannte diesen Herrn als einen Mann, dem ich diese eine, gelegentliche Ausgabe meiner Erzählung ganz gut und gern überlassen könne. Freilich, hätte er mir mitgeteilt, daß er mit diesem Sammelwerke eine ganz besondere, ausgesprochen "abendländische" Tendenz verfolge, so wäre ihm anstatt des Ja ganz unbedingt ein kurzes Nein geworden. Da mir nichts Gegenteiliges gesagt wurde, nahm ich als ganz selbstverständlich an, daß es sich um ein gewiß unbefangenes, rein geographisches Unternehmen handle, welches nicht von mir verlange, anstatt bisher nur für die Liebe und den Frieden, nun plötzlich für den Haß, den Krieg zu schreiben. So erzählte ich denn ganz unbesorgt, was ich zu erzählen hatte, bis mit einem Male ein Schrei des Entsetzens zu mir drang, der über mich, das literarische enfant terrible, ausgestoßen wurde. Ich hatte etwas geradezu Haarsträubendes geleistet, allerdings ganz ahnungslos: Das Werk war nämlich der "patriotischen" Verherrlichung des "Sieges" über China gewidmet, und während ganz Europa unter dem Donner der begeisterten Hipp, Hipp, Hurra und Vivat erzitterte, hatte ich mein armes, kleines, dünnes Stimmchen erhoben und voller Angst gebettelt: "Gebt Liebe nur, gebt Liebe nur allein!" Das war lächerlich; ja, das war mehr als lächerlich, das war albern. Ich hatte mich und das ganze Buch blamiert und wurde bedeutet, einzulenken. Ich tat dies aber nicht, sondern ich schloß ab, und zwar sofort, mit vollstem Rechte. Mit dieser Art von Gong habe ich nichts zu tun!"
[Fehsenfeld, S. 490f]

Hat May wirklich bereits mit dem Roman begonnen, als Kürschners Anfrage kommt?
Daran kann man zweifeln, denn er lässt sich viel Zeit mit der Manuskriptablieferung. Es vergehen sechs Wochen, bis die ersten Seiten vorliegen, woran mehrfache Anfragen und auch der Besuch des Verlegers Hermann Zieger in Radebeul nichts ändern. May scheint die Abgabe des Manuskriptes allerdings auch absichtlich hinauszuzögern, und der Herausgeber kann nicht mehr zurück, weil das "China"-Werk in Lieferungen herauskommt, also nach und nach erscheint. Eine einmal begonnene Erzählung lässt sich nicht gut abbrechen, daher müssen Herausgeber und Verleger die Kröte schlucken, die ihnen May serviert. Im August 1901 liegen das zweite und dritte Kapitel vor, am 17. September sendet May einen Teil des vierten und letzten und beendet "Et in Terra Pax" am 27.9. während eines Kuraufenthaltes in der Schweiz.

In gebundener Form erscheint "China" Ende Oktober, und May lässt es sich nicht nehmen, bei seiner Rückreise von der Schweiz Verleger Zieger am 21. November in Leipzig zu besuchen und sich ein Exemplar des Bandes zu besorgen. In Kürschners Vorwort kann er dann dessen Quasi-Entschuldigung für den Inhalt von "Et in Terra Pax" lesen:
"Karl Mays Reiseerzählung, die erst während des Erscheinens der einzelnen Lieferungen des Buches vollendet wurde, hat einen etwas anderen Hintergrund und Inhalt erhalten, als ich geplant und erwartet hatte. Die warmherzige Vertretung des Friedensgedankens, die sich der vielgelesene Verfasser angelegen sein ließ, wird aber gewiß bei Vielen Anklang finden."
Protest gegen die Tendenz von "Et in terra pax" muss es von Verlegerseite schon sehr früh gegeben haben. Immerhin sendet May am 17. Juni 1901 als Erklärung einen Text in Form eines orientalischen Märchens an Zieger, in dem sich ein Teppichweber seinem Auftraggeber gegenüber weigert, populistische Muster in ein Werk zu weben und stattdessen "Sprüche der Weisheit, der Liebe und Barmherzigkeit" verwendet. Im Druck erscheint dieses "Gleichnis für Zieger" zum ersten Mal im "Karl-May-Jahrbuch" 1923 unter dem Titel "Der Zauberteppich". Heute kann man es in Band 81 "Abdahn Effendi" der Gesammelten Werke des Karl-May-Verlages (KMV) nachlesen.
Für die Buchausgabe im Rahmen der "Gesammelten Reiseerzählungen" des Verlages Friedrich Ernst Fehsenfeld bearbeitet und erweitert Karl May den "Et-in-Terra-Pax"-Text im Herbst 1903. Diese Arbeit wird durch eine ernsthafte Erkrankung unterbrochen. Zu viel ist in der letzten Zeit passiert: die Trennung von seiner ersten Frau Emma, Prozesse um die Münchmeyer-Romane, die damit verbundene Sorge um das bekannt Werden seiner Vorstrafen, all das belastet Psyche und Körper des Autors. "Furchtbare Nacht. Kampf mit Karl. Er wollte im Fieber raus, er müsse Luft haben", so Tagebucheintragungen seiner zweiten Frau Klara aus dieser Zeit. Erst im Januar des folgenden Jahres ist May soweit wieder hergestellt, dass er die Arbeit an "Und Friede auf Erden!" wieder aufnehmen kann. Trotzdem dauert es noch bis zum 13. August 1904, bis die letzen Seiten zur Druckerei gehen. May hat nicht nur einfach ein Kapitel an den "Pax"-Text angehängt, um ihn auf den für die Fehsenfeld-Ausgabe nötigen Umfang zu erweitern, sondern ihn vielfältig modifiziert, Personen ergänzend charakterisiert und auch persönliche Reminiszenzen angepasst. So zum Beispiel eine Szene, bei der May ursprünglich wohl noch an seine mittlerweile geschiedene erste Frau Emma gedacht hatte.
"Und Friede auf Erden!" erscheint als Band 30 der Gesammelten Reiseerzählungen im September 1904 als Buchausgabe mit dem ersten Deckelbild, das Mays Künstlerfreund Sascha Schneider für den Autor gestaltet.
Nach Mays Tod wurde der Roman 1922 von dem Pfarrer Paul Rentschka im Auftrag des Karl-May-Verlages (KMV) bearbeitet. Ironischerweise war es Rentschka gewesen, der zu Mays Lebzeiten gegen die religiös undogmatische Tendenz des Buches in der Zeitung "Germania" polemisiert hatte. Trotzdem beschränkt sich die Bearbeitung in erster Linie auf Kürzungen und nur dezent katholisierenden Änderungen. Es gibt Stimmen in der neueren Forschung, die bezweifeln, dass Rentschka alleine für diese Bearbeitung verantwortlich zu machen ist. Eine weitere Bearbeitung nahm Otto Eicke in den Dreißigerjahren vor, allerdings längst nicht so extrem der Nazi-Ideologie verhaftet wie bei "Winnetous Erben" ("Winnetou IV"). Immerhin konnte Schlimmeres vermieden werden, obwohl Mays Witwe Klara mittlerweile ausgesprochen "Führer"-gläubig geworden war und am liebsten das christliche Kreuz von Raffley-Castle durch das Hakenkreuz ersetzt hätte. Für den Verlag war es überhaupt schon ein Wagnis gewesen, ein Buch mit dem für die Nazi-Herrscher provokanten Titel "Und Friede auf Erden!" weiterhin lieferbar zu halten. Eine revidierte Textfassung unter Zugrundelegung der Fehsenfeld-Ausgabe nahm Hans Wollschläger 1958 vor und diese Fassung ist auch heute noch im Band 30 der Gesammelten Werke enthalten.

Um "Et in terra pax", Mays Erstfassung seines Friedensromans, lesen zu können, war man über Jahrzehnte auf antiquarische Ausgaben des "China"-Bandes angewiesen. Einen ersten Reprint der Erzählung veröffentlichte der KMV 1976 in Zusammenarbeit mit dem Verlag A. Graff, Braunschweig. Seit 2001 liegt ein aufwändiger Reprint vor, der von der Karl-May-Gesellschaft (KMG) herausgegeben wurde.

Rolf Dernen

Literaturverzeichnis
Eckehard Bartsch: UND FRIEDE AUF ERDEN!. ENTSTEHUNG UND GESCHICHTE. In: Jahrbuch der Karl-May-Gesellschaft 1972/73. Hamburg. Hansa-Verlag 1972
Volker Griese: KARL MAY: CHRONIK SEINES LEBENS. Husum. Husum Druck- & Verlagsgesellschaft, 2001
Wolfgang Hammer/Ernst Seybold: "UND FRIEDE AUF ERDEN", BEARBEITET VON RENTSCHKA? In: Mitteilungen der Karl-May-Gesellschaft Nr. 103 (S. 51?60) und 104 (S. 49?61). Hamburg, KMG, 1995
Wolfgang Hermesmeier/Stefan Schmatz: KARL-MAY-BIBLIOGRAFIE 1913-1945 . Bamberg ? Radebeul , Karl-May-Verlag. 2000.
Hainer Plaul: ILLUSTRIERTE KARL-MAY-BIBLIOGRAPHIE. München, K.G. Saur. 1989
Dieter Sudhoff (Hg.): KARL MAYS "UND FRIEDE AUF ERDEN!". Oldenburg, Igel-Verlag. 2001

Dieser Beitrag stammt mit freundlicher Genehmigung des Autoren und der Redaktion aus "Karl May & Co.", dem Karl-May-Magazin.